Mit Frankreich ist „etwas nicht in Ordnung“, sagte Polens Außenminister Jacek Czaputowicz kurz vor Weihnachten und sprach sogar schon vom „kranken Mann in Europa“. Angesichts der anhaltenden Proteste der Gelbwesten hat Macron nun in einem "Brief an die Franzosen" angekündigt, mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen zu wollen. 35 Themen, von Steuern über Demokratie und Umweltschutz bis zur Einwanderung, sollen bis Mitte März in offenen Gesprächsrunden im ganzen Land diskutiert werden. Welche Chancen hat der Versöhnungsversuch?
Gazeta Wyborcza: Präsident und Volk reden aneinander vorbei Am Freitag
hatte der Präsident Bäcker im Elysée empfangen und deren Sinn für
Anstrengungen gelobt, der seiner Meinung nach vielen Mitbürgern fehle.
Damit könnte er den Konflikt noch weiter angeheizt haben, beobachtet die
liberale Tageszeitung:
„Am Tag vor der Protestwelle am Samstag stellte
Macron fest, dass viele Franzosen denken, sie könnten verschiedene
wichtige Dinge bekommen, ohne sich anzustrengen. Er fügte hinzu, man
dürfe nicht vergessen, dass die Bürger neben den Rechten auch Pflichten
hätten. Die Hauptpostulate der Gelbwesten bauen auf Forderungen nach
einer gerechteren Arbeitsteilung auf, geringere Steuern und
Lohnerhöhungen. In den Augen der Demonstranten resultieren sie nicht aus
unzureichender Anstrengung, sondern aus einer fehlenden Wertschätzung
ihrer Anstrengungen.“
Der Standard: Volkszorn lässt sich nicht
bändigen Österreichs linksliberale Tageszeitung sieht keine Chance
darauf, dass die Debatte gelingt:
„Politisch ist Macron geschwächt. Er
hat nur dann eine Chance, wenn er die Anliegen der Gelbwesten ernst
nimmt und nicht nur so tut als ob. Enttäuscht er die geweckten
Erwartungen, schürt er damit neuen Volkszorn. ... Macron steckt in der
Zwickmühle: Was die Gelbwesten verlangen, läuft auf die Einschränkung
seiner Befugnisse hinaus. Die Forderung nach 'Bürgerreferenden' steht
völlig quer zum französischen Zentralstaat. Die Regierung bemüht sich
daher bereits, die brisantesten Sachthemen wie etwa Immigration dem
Volksinitiativrecht zu entziehen. Verwässert Macron das Instrument aber
weiter, fühlen sich die Gelbwesten nur weiter betrogen. Neue Gewalt
stünde der Nation ins Haus. Und Macron würde sich vielleicht bald
wünschen, die nationale Debatte nie angesetzt zu haben.“
Le Figaro:
Selbstmörderische Dialektik überwinden Macrons Brief schafft die
Grundlage für eine Debatte, deren Erfolg er jedoch nicht allein
garantieren kann, kommentiert Frankreichs konservative Tageszeitung.
„Der Text hat den großen Verdienst, die selbstmörderische Dialektik
überwinden zu wollen. Er will versuchen, ein Grundelement der Demokratie
wiederherzustellen: den gesellschaftlichen Dialog. ... Er ruft im
Vorfeld in Erinnerung - was alles andere als überflüssig ist -, dass
Gewalt diesen Austausch automatisch unterbindet. ... Der Präsident hat
die Themen sehr weit gefasst und lässt die Menschen frei zu Wort kommen.
Auf diese Weise bittet er sie darum, gelassen zu erklären, was sie
plagt. Wie im Dorf von Asterix wird es zu Anfeindungen und
Ausschreitungen kommen. In Wirklichkeit aber hängt der Ausgang dieser
großen Debatte von uns allen ab, insbesondere von unserer Bereitschaft
zu verstehen, bevor wir urteilen.“
Quelle: eurotopics Presseschau/bpb/ds/14.01.2019
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