Dringen Stimmen zur Pandemiebekämpfung von außerhalb des Mainstreams derzeit nicht durch? Dieser Frage, die nicht nur von Corona-Leugnern immer wieder aufgeworfen wird, widmen sich auch Europas Medien und zeigen sich teilweise selbstkritisch.
RZECZPOSPOLITA: Wer nicht zur Blase gehört, gilt als Feind Polens
konservative Tageszeitung klagt über eine Verengung der Debatte:
„Es
gibt eine gefährliche Tendenz, nur Vertreter der richtigen Ansichten zu
Debatten über wichtige Themen zuzulassen. Schlimmer noch, es geschieht
unter dem scheinheiligen Vorwand, wissenschaftlich und sachkundig zu
handeln und dem Wahnsinn keinen Raum zu geben. Jeder, der es wagt, von
der erlaubten Erzählung abzuweichen, ja jeder, der sich weigert, ihre
radikalste Version zu vertreten, gilt als Fanatiker. ... Ein solcher
Ansatz führt dazu, dass Diskussionen in Blasen stattfinden, der
Meinungsaustausch verschwindet, die Befürworter einer anderen Sichtweise
immer häufiger nicht als Gegner, sondern als Feinde oder, was noch
schlimmer ist, als Verrückte gesehen werden, die man nur verspotten
kann.“
Tagesschau: Alternativen gibt es immer Das Onlineportal fordert
eine offene Diskussion über die langfristige Pandemie-Bekämpfung, bei
der auch Alternativen zur dominanten Strategie des Lockdown nicht
ausgeklammert werden dürfen:
„[V]ielleicht ist ein Lockdown, den man mal
verschärft und mal lockert, tatsächlich der richtige Weg für die
kommenden Monate. Aber vielleicht auch nicht. ... Vielleicht muss man
akzeptieren, dass die Zahl der Neuansteckungen hoch bleibt, und sich
darauf konzentrieren, die Zahl der schweren Krankheitsverläufe und
Todesfälle zu reduzieren, indem man die Risikogruppen besser schützt.
Und vielleicht gibt es auch noch ganz andere Alternativen. Wichtig ist,
dass man in einer Demokratie über solche Fragen diskutiert - im
Bundestag und in den Landtagen. Und zwar möglichst bevor Maßnahmen
beschlossen werden und nicht immer erst danach.“
De Standaard:
Blindes Vertrauen brauchen wir nicht Nur mit einem gesunden Maß an
Kritikbereitschaft kommen die Demokratien durch den aktuellen
Stresstest, meint Belgiens liberal-konservative Tageszeitung:
"Corona
drückt auf die Schwachstellen. In Demokratien sind diese das Vertrauen
in Mitbürger, Politiker, Ärzte, Wissenschaftler, Medien und Impfstoffe.
Nur genügend Vertrauen hält den Laden zusammen. Wenn andere mit ihren
Partys die Regeln missachten, der Staat autoritäre Züge bekommt und die
Pharmaindustrie Misstrauen weckt, bröckelt das Vertrauen rapide. ...
Doch blindes Vertrauen brauchen wir nicht. ... Ein kritischer Ansatz
kann uns retten: Einigkeit bei den Tatsachen, aber
Meinungsverschiedenheit bei den Interpretationen, Verbundenheit im
endgültigen Ziel und viel Debatte, wie man dort hinkommt. ... Alles in
allem ist das für die offene Demokratie ein Stresstest.“
DIENA: Es
geht nur im Dialog Mit Verboten allein kommen die Regierungen in der
Pandemiebekämpfung nicht weit, fürchtet Lettlands liberale Tageszeitung:
„Einerseits ist klar, dass alle Beschränkungen notwendig sind, die
helfen, die Ausbreitung von Covid in der Gesellschaft zu verhindern.
Denn Aufforderungen an die Menschen, vorsichtig zu sein und sich nicht
zu treffen, sind selbst in den Ländern ineffektiv, in denen die
Gesellschaft besonders verantwortungsvoll und vorsichtig erscheint. ...
Aber es fehlt auch ein breiter Dialog über die gesellschaftspolitischen
Prozesse, die uns derzeit betreffen, über gemeinsame Ziele und wie diese
erreicht werden können. Über die Demokratie und ihre Bedrohungen. Über
Grundwerte im Notstand und darüber, wie wir in der näheren Zukunft
hoffentlich zur normalen Ordnung zurückkehren werden können.“
Azonnali:
Mit Transparenz gegen Verschwörungstheoretiker Angesichts der
Kommunikation der ungarischen Regierung fallen Verschwörungstheorien auf
fruchtbaren Boden, kritisiert das ungarische Onlineportal:
„Die
Datenübermittlung [der Regierung über die Pandemie] ist mangelhaft und
ungenügend. … Als bereits klar war, dass die Katastrophe da ist, ergriff
die Regierung Scheinmaßnahmen und machte aus der Operativen
Aktionsgruppe [für die Pandemiebekämpfung] ein Kommunikationsinstrument,
das das Unterlassen von wirklichen Maßnahmen im Namen 'der
Wissenschaft' erklären sollte. ... Verschwörungstheoretiker werden unter
uns bleiben, solange unsere Politiker, die die Lage ganz genau kennen,
die Tatsachen verbergen.“
Quelle: eurotopics Presseschau/bpb/ds/15.12.2020
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