Eigentlich war der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vergangene Woche nach Moskau gereist, um den Dialog zu umstrittenen Themen wie Nawalnys Inhaftierung zu suchen. Doch noch während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Außenminister Lawrow wies Russland drei EU-Diplomaten aus. Europas Presse ist erschüttert und sieht darin einen heftigen Affront, dem die Europäische Union nichts entgegenzusetzen hat.
RZECZPOLITA: Fall
Belarus gibt Putin Sicherheit. Eine ernsthafte Reaktion der EU braucht
Putin im Fall neuer Repressionen jedenfalls nicht zu fürchten,
prophezeit Polens liberal-konservative Tageszeitung:
„Putin hat die
Reaktion des Westens auf demokratische Aufstände, zuerst in Venezuela
und dann in Belarus, sorgfältig analysiert. Und er kam zu einem
einfachen Schluss: Wenn er die Proteste nach der Inhaftierung von Alexej
Nawalny rücksichtslos verstummen lässt, riskiert er nichts. Im Januar
2019 erkannte Donald Trump den venezolanischen Oppositionsführer Juan
Guaidó als Präsidenten an, aber das änderte wenig. ... Selbst viele
Monate mutiger Proteste in Belarus haben die EU nicht dazu veranlasst,
ernsthafte Sanktionen gegen das Regime von Alexander Lukaschenka zu
verhängen.“
HELSINGIN SANOMAT: Jetzt wird härter zugepackt. Am Umgang
mit Borrell lässt sich einiges über Moskaus künftige Politik ablesen,
erklärt Finnlands liberale Tageszeitung:
„Jetzt ist klar, dass die EU einem noch
gefährlicheren Russland gegenübersteht. Deshalb muss sie noch
geschlossener auftreten. Die russische Führung ist auf neue Art
herausgefordert. Der Volksaufstand in Belarus hat die Machtclique
erschreckt. ... Mit Nawalnys Rückkehr und dem jetzt in Russland
zirkulierenden Video, das die Korruption von Putins inneren Zirkeln
aufdeckt, begann der Ärger richtig. Russlands Ausrichtung wird
sicherlich nicht auf der Straße entschieden. Putin hat Zeit und Geld in
den Aufbau einer Maschinerie mit Nationalgarde und elektronischer
Überwachung zur Sicherung seiner Macht investiert. Bisher ist die
Unterdrückungsmaschinerie nur auf halber Kraft gelaufen, aber jetzt wird
härter zugepackt.“
UKRAJINSKA PRAWDA: Europa hat es immer noch nicht
begriffen. Die Reise des EU-Diplomaten war völlig umsonst, bedauert das
liberale ukrainische Onlineportal:
„Keine der roten Linien bezüglich der
Ukraine hat sich verschoben, aber einen Sinn, darüber mit Russland zu
sprechen, scheint die EU nicht mehr zu sehen, weil hier niemand jemanden
überzeugen wird. ... So wird dies nun auch mit den
Menschenrechtsverletzungen in Russland ablaufen. Auch sie werden die
Opfer des Wunsches der europäischen Hauptstädte sein, 'den Dialog trotz
der Differenzen fortzusetzen'. Das sind übrigens die Worte, die Angela
Merkel verwendete, als sie die Ausweisung von deutschen Diplomaten durch
Russland kommentierte. “
Le Monde: Dialog ist nicht beabsichtigt. Der
Besuch bringt immerhin Klarheit, resümiert Frankreichs liberale
Tageszeitung:
„Es ist eine richtige Ohrfeige - eine Demütigung für den
ehemaligen spanischen Außenminister und Ausdruck der totalen Verachtung
für sein Amt, dessen Schwäche hier hervorgehoben wird. ... Indem er sich
in einer Zeit extremer politischer Spannungen in Russland in die Höhle
des Löwen begab, unterschätzte Josep Borrell den Zynismus des Regimes
von Wladimir Putin und überschätzte seine eigene Fähigkeit, damit
umzugehen. ... Die Botschaft, die die russische Führung bei diesem
desaströsen Besuch bekräftigte, ist, dass sie nicht die Absicht hat,
sich auf einen Dialog mit der EU einzulassen. Für diejenigen, die noch
Zweifel daran hatten, ist das jetzt klar.“
ALFA: Im Kreml knallen die
Korken. Die EU lässt sich von Moskau erniedrigen, schimpft auch Edward
Lucas auf Litauens konservativ ausgerichtetem Onlineportal:
„Man sollte
nicht vergessen, dass die EU dreimal so viele Einwohner und ein zehnmal
so großes Bruttoinlandsprodukt hat wie Russland. Ungeachtet dessen
benahm sich Borrell in Moskau wie ein Bettler. Er erlaubte dem
Lügen-Großmeister Lawrow, die gemeinsame Pressekonferenz zu dominieren
und nach seinem Plan verlaufen zu lassen. ... Eine noch größere
Erniedrigung erlebte Borrell, als Russland während seines Besuches drei
EU-Diplomaten auswies. Auf dem Weg nach Hause bloggte Borrell zwar, die
EU werde das 'bedauernswerte' Verhalten Russlands sorgfältig
analysieren. ... Doch derweil redet in Deutschland der neue CDU-Chef
Laschet davon, dass ein Streit mit Russland Nord Stream 2 nicht bedrohen
sollte. Vom österreichischen Kanzler Kurz kommt Unterstützung. Moskau
lässt die Knorken knallen.“
Quelle: eurotopics Presseschau/bpb/ds709.02.2021
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