Mitte März 2020 schlossen in vielen Ländern Europas die meisten Geschäfte, Kitas und Schulen, erste Staaten machten ihre Grenzen dicht. Diverse Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten folgten und konnten seitdem nur teilweise und vorübergehend aufgehoben werden. Ein Jahr später ziehen Beobachter ein ernüchtertes Fazit und fürchten, dass einige Veränderungen über die Pandemie hinaus bleiben könnten.
RZECZPOSPOLITA: Überwachungsstaat durch die Hintertür. Die
Covid-Beschränkungen gewöhnen uns an gefährliche Eingriffe in die
Freiheit, fürchtet Polens konvervativ-liberale Tageszeitung:
„Die
häusliche Quarantäne ist ein Verfolgungs- und Überwachungssystem. Es ist
immer noch primitiv, leicht zu umgehen, vielleicht sogar albern. Aber
es ist das erste universelle System in Polen, das die Überwachung von
Bürgern mit potenzieller Bestrafung kombiniert. Die einzigen Vorgänger
waren elektronische Fußfesseln für jene, die zur Freiheitsbeschränkung
verurteilt waren. Ein Gericht entscheidet über ihre Einführung. Im Fall
der Quarantäne gibt es kein Gericht. Es reicht aus, wenn jemand in der
Nähe krank wird, und schon fällt man in die Arme des Systems. ... Covid
tut dem Staat einen Gefallen. Es ist ein Vorwand, um ein
Überwachungssystem zu entwickeln.“
Ukrinform: Die Welt ist begrenzter
und ungleicher geworden. Fünf Dinge hat das Coronavirus mit sich
gebracht, resümiert Ukraines regierungsnahes Onlineportal.
„Erstens der
beschleunigte Übergang der Menschheit in die virtuelle Welt. … Zweitens
die global zunehmende Kluft zwischen den Einkommen der Superreichen und
Armen. Drittens die Konzentration der größten Einnahmen bei den
digitalen Giganten – Google, Amazon, Facebook, Microsoft. ... Dazu gibt
es neue 'Stars' wie Zoom. … Viertens Unsicherheit, was die Zukunft
betrifft: Stress, Wut, ein starker Rückgang der Einkommen von
Angehörigen ganzer Klassen als Folge der totalen Quarantäne. Das musste
zu sozialen Unruhen führen. Fünftens die Bremsung der Globalisierung,
die Verringerung von Reisen und Kontakten zwischen Menschen auf globaler
und lokaler Ebene.“
DER NORDSCHLESWIGER:Funktionierendes Ökosystem
künstlich getrennt. Das deutsch-dänische Grenzland wurde besonders hart
durch Einschränkungen getroffen, kritisiert die liberale Tageszeitung:
„Im Frühjahr 2020 dauerte es Monate, bevor die Politik in Kopenhagen
begriff, dass die deutsch-dänische Grenzregion ein zusammenhängendes
Öko- und Lebenssystem ist, in dem die Verbindungen kreuz und quer gehen.
... Könnte man sich vorstellen, dass Kopenhagener sich plötzlich nicht
von einem in den anderen Vorort bewegen dürfen (was aufgrund der
Inzidenzzahlen eigentlich vernünftig gewesen wäre)? Wir leben de facto
in einem getrennten Grenzland, in dem Menschen ihre Freunde oder
Verwandten nicht besuchen können, in dem Pendler extra Auflagen bekommen
und in dem wir uns zum Teil auseinandergelebt haben. ... Weil das
Wissen über das Leben im Grenzland bei den Entscheidungsträgern ganz
einfach zu gering ist.“
LE TEMPS: Franzosen können auch
diszipliniert. Die liberale Schweizer Tageszeitun attestiert dem
Nachbarland Frankreich ganz neue Eigenschaften:
„Die 'resignierte
Akzeptanz' in diesem so unruhigen und schnell revoltierenden Land zeigt,
dass die Vernunft gesiegt hat. ... Solange die Regeln klar und
verständlich sind, solange sie von engagierten lokalen Mandatsträgern
unterstützt werden, und solange sie die gesundheitlichen Eigenheiten der
einzelnen Regionen respektieren, weiß man in Frankreich, wie man
diszipliniert und geeint vorgeht. Es sind diese Tugenden, die Emmanuel
Macron jetzt kultivieren muss, indem er sich so pädagogisch wie möglich
zeigt und staatliche Schwierigkeiten realitätsnah anspricht, um das Land
auf das Ende des 'Whatever it takes' vorzubereiten. ... Und um die
richtigen Lehren zu ziehen aus diesem Impfstoff namens Covid-19 gegen
die französische Disziplinlosigkeit.“
Quelle: eurotopics Presseschau/bpb/ds/16.03.2021
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