In Europa wächst die Kritik am Tempo der Corona-Impfkampagne. So warf unter anderem Biontech-Chef Uğur Şahin der EU eine zu zögerliche Bestellung vor. Länder wie Israel, die USA oder Großbritannien sind bei der Zahl der verabreichten Impfdosen pro 100 Einwohner deutlich weiter. In der Frage, ob die EU oder eher ihre Mitglieder Schuld sind, beißt sich die Katze laut Kommentatoren in den Schwanz.
POLITYKA: Imageschaden für Europa Polens liberales Magazin rechnet mit
zunehmender Kritik an Brüssel:
„Die Vorfreude auf das Ende der Pandemie
erwies sich als verfrüht und die Situation in Europa ist alles andere
als perfekt. Eine neue Mutation des Virus, die fast überall in der EU
aufgetreten ist, verbreitet sich und hat Boris Johnson dazu gezwungen,
sein Land in Quarantäne zu stecken. Einige Länder melden Probleme bei
der Umsetzung ihrer Impfstrategien. ... In vielen Ländern,
einschließlich Polen, hören wir immer mehr Stimmen, dass die EU für die
Verzögerungen bei den Impfungen verantwortlich ist, weil sie zu wenige
Präparate gekauft und diese zu langsam bereitgestellt hat. Unabhängig
von der Art der Probleme mit den Impfstoffen ist die Schlussfolgerung
für den Kontinent doch universell: Die massive Impfkampagne hat sich als
viel schwieriger erwiesen als erwartet."
Népszava: Mitglieder
sollten vor der eigenen Tür kehren Derzeit ist in Europa die gleiche
widersprüchliche Haltung zu beobachten wie im Frühjahr, ärgert sich
Ungarns linksliberale Tageszeitung:
„Die EU-Kommission hätte es
tatsächlich besser machen können: Als sie eine Entscheidung treffen
musste, welche Impfstoffe sie aussucht, wusste man noch nicht, welche
eigentlich wirksam sind. Allerdings ist bereits vergessen gegangen, dass
die Mitgliedstaaten über die Impfstoffbeschaffung der EU gemeinsam
entschieden haben, gerade weil sie die Rivalität, die im Frühjahr
entstanden war, vermeiden wollten. Nun konnten sie diese nicht
verhindern: In Ungarn wurde zum Beispiel mit einem [russischen] Vakzin
experimentiert, das in der EU gar nicht zugelassen ist. ... Dafür, dass
das Haus jetzt brennt, sind alle verantwortlich. Die Mitgliedsstaaten
sollten, bevor sie Brüssel die Schuld zuweisen, den Fehler erstmal bei
sich selber suchen.“
THE SPECTATOR. Kooperationszwang rächt sich Dass
in so vielen EU-Staaten die Impfungen vergleichsweise langsam anlaufen,
liegt daran, dass die Brüsseler Bürokratie wieder einmal versagt hat,
urteilt die konservative britische Wochenzeitung.
„Die EU hat - wie so
oft - große Ambitionen, ist dann aber heillos überfordert damit, die
nötigen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Sie schuf eine einheitliche
Währung, aber nicht die Mechanismen, die erforderlich sind, damit diese
funktioniert. Im aktuellen Fall hat sie ein einheitliches Vorgehen beim
Thema Gesundheit beschlossen, doch es fehlen die finanziellen Mittel und
das Fachwissen, um diese in der Praxis umzusetzen. Die vielleicht
wichtigste Lehre ist folgende: Die EU wird von der Idee bestimmt, dass
größer immer besser ist - und dass Kooperation immer besser ist als
Wettbewerb. Es ist jedoch offensichtlich, dass dies bei der Entwicklung
und Einführung von Impfstoffen in keinster Weise zutrifft.“
Quelle:eurotopics Presseschau/bpb/ds/09.01.2021
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